Ein Sozialreformer der ersten Stunde

einer der erfolgreichsten katholischen Publizisten des 19. Jahrhunderts und volksnaher Seelsorger - so läßt sich Adolph Kolping kennzeichnen, der auch als Gesellenvater bis in unsere Zeit bekannt ist. Viele Hürden sind zu überwinden, bevor sich der erste Erfolg in seinem Bemühen um eine bessere, christlichere Welt einstellt. Als 4. Kind eines Schäfers, 25 km von Köln entfernt in Kerpen geboren, wächst Adolph Kolping in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Er erhält eine einfache Schulbildung und erlernt dann das Schuhmacherhandwerk.
Zehn Jahre arbeitet er in diesem Beruf und wandert wie andere Gesellen damals auch von Ort zu Ort. Der Lebensweg scheint unabänderlich vorgezeichnet. Als ihm in Köln der Meister, bei dem er wie ein Sohn aufgenommen worden ist, die Hand seiner Tochter anbietet, spitzt sich die Situation zu. Doch Adolph Kolping hat andere Pläne im Kopf. Er ringt mit der Entscheidung, sein bisheriges Leben aufzugeben und eine Ausbildung als Priester zu beginnen.


Ungewöhnlicher Schritt
Im Alter von 23 Jahren wagt er den ungewöhnlichen Schritt und besucht das Marzellen-Gymnasium in Köln. Gegenüber seinen wesentlich jüngeren Mitschülern steht er aber keineswegs zurück, im Gegenteil. Bereits als Lehrling und Geselle hat er mit Vorliebe in Büchern "geschmökert" und dabei viel für seine Weiterbildung getan. Den Lebensunterhalt muß er sich nebenbei verdienen, denn seine Eltern können ihn nicht unterstützen. Als er mit dem Studium beginnen will, wird ihm ein Stipendium angeboten. So kann er seinen Wunsch erfüllen, im fernen München zu studieren, wo ihm die theologische Richtung der Dozenten wesentlich näher liegt als in Bonn, wo er 1842 seine Studien fortsetzt.
Am 13. April 1845 empfängt Adolph Kolping in der Kölner Minoritenkirche die Priesterweihe und wird als Kaplan ins Wuppertal nach Elberfeld geschickt. Dort erfährt er in der fortgeschrittenen Industrialisierung dieser Region das Elend der Arbeiter. Durch den Zusammenbruch des Zunftwesens haben außerdem die wandernden Handwerksburschen ihr Zuhause in der Familie des Meisters verloren. Heimatlos halten sie sich im Milieu von Herbergen und zweifelhaften Unterkünften auf.
In Elberfeld lernt Kolping den kurz zuvor vom dortigen Lehrer Johann Gregor Breuer gegründeten Gesellenverein kennen und wird 1847 dessen Präses und geistlicher Begleiter. In diesem Zusammenschluß von Gleichgesinnten, die sich in ähnlichen Lebenssituationen befinden, erkennt er rasch ein geeignetes Mittel zur Bewältigung sozialer Probleme. Bald läßt er sich nach Köln versetzen, wo er am 6. Mai 1849 mit sieben Gesellen den Katholischen Gesellenverein gründet, der sich später zum Mittelpunkt einer großen, weitverzweigten Gemeinschaft entwickelt.


Bescheidene Anfänge

Kolping steckt auch nicht auf, weil der Anfang so bescheiden ist - immerhin versammeln Karl Marx und Friedrich Engels zur gleichen Zeit in Elberfeld und Köln Tausende von Anhängern um sich und können sie für revolutionäre Umsturzgedanken begeistern. Innerhalb weniger Jahre gelingen Kolping zahlreiche Neugründungen. Zuerst im Rheinland und Ruhrgebiet, dann aber in vielen Teilen der deutschen Staaten und benachbarter europäischer Länder schießen die katholischen Gesellenvereine aus dem Boden. Es gelingt Kolping mit Erfolg, unzählige junge Menschen von seiner Idee zu überzeugen, die Vereine und die vielerorts ebenfalls entstehenden Hospize als einen "Zufluchtsort" und Knotenpunkt für Gemeinschaft, Orientierung und Lebenshilfe zu nutzen.

Kolping setzt auf sozialen Wandel durch Veränderung des Menschen. Verein und Hospiz sollen ersetzen, was den jungen Leuten auf dem Weg zum tüchtigen Bürger fehlt: ein tüchtiges Familienleben. Denn von der Prägung in einer Familie, die auf christlichen Werten gegründet ist, hängt nach Meinung Adolph Kolpings Grundlegendes für die Entwicklung eines Menschen ab. Er weiß es zu schätzen, daß er sein Leben aus klarem, religiösen Fundament gestalten kann, dessen Wurzeln in der Familie grundgelegt wurden. Durch viele Reisen, unermüdlichen Einsatz und erfolgreiches publizistisches Wirken gelingt es Kolping, Idee und Praxis seiner Gemeinschaft bis an die Grenzen Europas und bis nach Übersee zu verbreiten. In seinem letzten Lebensjahr - 1865 - gibt es bereits 420 örtliche Gruppen, die viele zehntausend junge Handwerksgesellen darin bestärkt haben, mehr aus sich und ihrem Leben zu machen. Chancen zur Weiterbildung und zahlreiche Gemeinschafts- und Selbsthilfeeinrichtungen wie z.B. Spar- und Krankenkassen, sind dabei behilflich. Gegen zahlreiche Hindernisse, hauptsächlich durch die preußischen Behörden verursacht, hat Kolping zu kämpfen. Auch mit einigen Klerikern, nach deren Anschauung er sich mit dem falschen Publikum abgibt, hat er einige Mühen. Schließlich ist es zu dieser Zeit nicht selbstverständlich, daß sich ein Seelsorger um Arbeiter und Handwerker zu kümmert. Der Sozialenzyklika Rerum novarum aus dem Jahr 1891 ist Kolping lange Zeit voraus.





Lebenswerk mit Fundamenten

Am 28. Mai 1862 wird Kolping in Rom von Papst Pius IX. empfangen. Nach diesem Höhepunkt und nach Festigung des organisatorischen Aufbaues - die Gesellenvereine pflegen untereinander bereits eine intensive Zusammenarbeit - erlebt Kolping noch die Erweiterung des Kölner Gesellenhauses. Am 4. Dezember 1865 stirbt er - geschwächt durch rastlosen Einsatz und geringe Rücksichtnahme auf seine angeschlagene Gesundheit. Sein Lebenswerk aber ruht auf soliden Fundamenten und besteht - nach vielen äußeren Wandlungen - bis heute in mehr als 50 Ländern auf allen Kontinenten fort. Heute gehören dem Kolpingwerk auf internationaler Ebene über 400.000 Mitglieder an.


Adolph Kolping - Wollen und Handeln

"Was der Mensch aus sich macht, das ist er." Adolph Kolping hat selbst die Erfahrung gemacht, daß die Lebensumstände nicht als unabwendbares Schicksal vorherbestimmt sind, sondern mitgestaltet und verändert werden können. Der Handwerksgeselle bildete sich weiter, wurde Priester, Verbandsgründer und einflußreicher Publizist. Bald stand die Heranbildung tüchtiger Bürger im Mittelpunkt seines Wirkens.

Seine eigene Lebenserfahrung und sein zielstrebiger Wille, die Welt durch lebendiges Christentum besser zu gestalten, motivierten Adolph Kolping zu einem umfassenden Engagement für das Wohl der Menschen und zu entscheidenden Impulsen auf das soziale Handeln der Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Kolpings Augenmerk lag auf der persönlichen Tüchtigkeit des Menschen. Dabei schätzte er alle Lebensbereiche gleichermaßen wichtig ein. Er betrachtete den Menschen "ganzheitlich", eben nicht ausschließlich aus einem Blickwinkel. Der junge Mensch sollte lernen, sich als tüchtiger Christ in Ehe und Familie, Erwerb und Arbeit, Kirche und Staat zu bewähren und Verantwortung zu übernehmen. Sozialer Wandel durch Veränderung des Menschen - so läßt sich in knappen Worten seine Vorstellung beschreiben.

Aber wie sollten sich diese Ideen in die Praxis umsetzen lassen? Im katholischen Gesellenverein erblickte er das "Instrument" seiner Ziele. Der organisierte Zusammenschluß bildete also keinen Selbstzweck. Im Mittelpunkt stand immer der Mensch mit seinen Bedürfnissen in seiner konkreten Lebenssituation. Kolping erkannte die Möglichkeiten der Selbst- und Gemeinschaftshilfe. Der Verband eröffnete ein geeignetes Einübungsfeld zum Erwerb der Tüchtigkeit, zur Übernahme von Verantwortung, zum Einüben sozialer Fähigkeiten und vor allem zur Gemeinschafts- und Selbsthilfe.

Der einzelne sollte leisten, wozu er selbst imstande war - nicht zuletzt, um sich seiner Eigenverantwortung bewußt zu werden. Gleichzeitig war aber solidarische Hilfe notwendig. Im Kreise Gleichgesinnter sollten die Arbeiter und Gesellen, um die Kolping sich kümmerte, Anregungen und Hilfen zur Lebensgestaltung finden.

Kolping erkannte die elementare Kraft der "Gesinnungsreform". Zunächst ging es ihm darum, die eigenen Kräfte im Menschen zu mobilisieren. Seine Appelle an Gewissen und Vernunft im Menschen zeigten Wirkung, weil er selbst glaubwürdig lebte, wovon er sprach. Diese Sicht hinderte Kolping keineswegs, auf eine Änderung der Rahmenbedingungen hinzuwirken, also auch eine "Zuständereform" anzustreben.

Kolping erkannte rascher als andere den wirtschaftlichen, sozialen und weltanschaulichen Umbruch seiner Zeit: Handwerker gerieten durch den Zerfall der Zünfte in Not, in den aufkommenden industriellen Ballungsräumen fielen die Lohnarbeiter in Abhängigkeit und Ausbeutung. Schon 1848 warnte Kolping vorausschauend davor, das tätige Christentum "zwischen Kirchenmauern und Krankenstuben" oder "im nächsten häuslichen Kreis" einzuschließen. Vielmehr betonte Kolping: "Es wird darauf ankommen, das Christentum dem Geiste und der Praxis nach ins wirkliche gesellschaftliche Leben hineinzutragen." Indem er diese Forderung durch die rasche Ausbreitung der Katholischen Gesellenvereine mit Leben füllte, entwickelte sich Kolping zum Pionier und Motor eines erfolgreichen sozialen Katholizismus.

Das Wollen und Handeln Adolph Kolpings hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt: Auf der Grundlage von Gesinnungsreform, Eigenverantwortung und Gemeinschaftshilfe hat sich das Kolpingwerk in über 50 Nationen auf allen Kontinenten der Erde ausgebreitet. Das Motto bleibt: Unsere Zeit braucht tüchtige Christen, die sich in Familie und Arbeitswelt, Kirche und Gesellschaft bewähren und verantwortlich an einer besseren Zukunft mitwirken!